Antisemitische Hetze, «blasphemische» Karikaturen, Angriffe auf Schrifsteller:innen, diskriminierende Kanzelpredigten gegen die LGBTQ+-Community: Vor dem Hintergrund pluraler Gesellschaften und der Zunahme zumindest auch religiös konnotierter globaler politischer Konflikte, bergen öffentliche Angriffe auf Religionen, Gläubige und Minderheiten ein erhebliches gesellschaftliches Konfliktpotenzial. Religiöse Akteur:innen kommen dabei als Opfer, aber auch als Täter:innen von Äusserungsdelikten in Betracht. Unser interdisziplinäres Seminar untersucht diese Konflikte sowohl aus religionswissenschaftlicher als auch aus juristischer Perspektive. Im Mittelpunkt des Seminars steht die Frage, wen oder was das Recht im Kontext von «Hassreden» eigentlich schützt. Blasphemie ist in dieser Perspektive immer auch ein imaginäres Verbrechen – ein «Verbrechen ohne Opfer» (Saint Victor) –, da sich die blasphemische Rede in der Regel gegen Glaubensüberzeugungen richtet. Zudem muss gefragt werden, wie sich der Schutz vor Blasphemie und Hassrede zu grund- und menschenrechtlich geschützten Freiheiten wie der Meinungs- und Kunstfreiheit verhält. Diesen und weiteren spannenden Fragestellungen soll im Seminar nachgegangen werden.

Die Tage in Engelberg werden von David Atwood (Universität Zürich) und Janina Koelbing mit den Professoren der Rechtswissenschaft Basel Bijan Fateh-Moghadam sowie Andreas Müller unterrichtet.

Die gemeinsam mit den juristischen Kolleg:innen ausgerichtete Blockveranstaltung setzt eine bestehende Veranstaltungsreihe fort und geht auf bewährter Weise verschiedenen Verstrebungen bzw. Interdependenzen zwischen Recht und Religion nach und stellt die gegenseitigen Gemeinsamkeiten, Abhängigkeiten und Differenzen dieser Gesellschaftsbereiche historisch, systematisch und fallbezogen (praxisnah) in den Fokus des Seminars.

Im Ausgang von der These, dass wir uns in einer postsäkularen Gesellschaft im Westen befänden, wollen wir diesmal nach der Herkunft dieser These, die eng mit dem Spätwerk des Philosophen Jürgen Habermas verknüpft ist, fragen und die Entstehungsbedingungen säkularer wie von dieser sich abhebenden postsäkularen Gesellschaften untersuchen. Gab es überhaupt eine säkulare Gesellschaft, die die Voraussetzung der Rede von einer postsäkularen Gesellschaft bildet? Was wäre damit gemeint und was charakterisiert die historischen Prozesse hinsichtlich des damit einhergehenden Verhältnisses von Recht und Religion? Bedeutend ist in diesem Verhältnis das, was Freiheit genannt wird: sei es die rechtlich garantierte Religionsfreiheit oder den sogenannten freiheitlichen Rechtsstaat. Der freiheitliche Rechtsstaat und sein Verhältnis zur Religion und Religionsfreiheit (und damit zu den Grundrechten oder zur Menschenwürde) sollen aus religions- und rechtswissenschaftlicher Sicht beleuchtet werden. Systematische, aber auch sehr praxisbezogene Fragen nach der Religionsfreiheit, ihrer Entstehung, ihren Problemen und gegenwärtige Konfliktfällen werden in einzelnen Referaten vorgestellt und thematisiert.

Aus religionswissenschaftlicher Sicht müssen wir somit 1. die Begriffe der Religionsfreiheit klären und auf das Rechtssystem übertragen (gibt es einen religiösen Freiheitsbegriff, der eine Relevanz für das Rechtssystem hat?), 2. fragen, was eine säkulare und davon sich abhebende postsäkulare Gesellschaft in religionsgeschichtlicher und rechtstheoretischer Hinsicht ist, 3. analysieren, welche säkularen und doch zugleich religiösen Ausdrucksformen das Recht in institutioneller, ritueller und symbolischer Hinsicht in einer (säkularen, postsäkularen oder zivilreligiösen) Gesellschaft annimmt (religiös-performative Dimension des Rechts).
(Dr. des. David Atwood, Prof. Jürgen Mohn, Prof. Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Prof. Dr. Felix Hafner, MA Paloma Braun)

Spätestens seit den Tragödien des Zweiten Weltkriegs hat sich in den Europäischen Gesellschaften das Bedürfnis etabliert, religiöse Glaubensüberzeugungen speziell zu schützen, womit dem rechtlichen Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit gemeinhin eine grundlegende Bedeutung beigemessen wird. Heute spielt die Glaubens- und Gewissensfreiheit in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit ‚fremden‘ Glaubensausrichtungen und einer veränderten religiösen Landschaft eine neue Rolle. Es fragt sich erneut, ob diese der Glaubens- und Gewissensfreiheit zugeschriebene Stellung tatsächlich einen erhöhten Schutz des religiösen Lebens zu gewährleisten vermag. Was genau schützt der Staat, wenn er bestimmte Verhaltensweisen und Zielsetzungen als „religiös“ definiert und als solche unter den Schutz der „Religionsfreiheit“ stellt?

Die gemeinsam mit dem juristischen Seminar ausgerichtete Blockveranstaltung geht verschiedenen Verstrebungen zwischen Recht und Religion nach und stellt die gegenseitigen Abhängigkeiten in den Fokus. Wir fragen dabei explizit nach den religionsförmigen Aspekten im Recht, die sich etwa anhand des «Präambelgottes», der Selbstbegründung des Rechts oder der Religions- und Weltanschauungsfreiheit illustrieren lassen. Das Blockseminar fragt so einerseits danach, ob Religion Recht, also rechtlich-staatliche Rahmenbedingung in einer pluralen Gesellschaft, braucht, andererseits, ob das Recht selbst nicht Religion, also religiöse Grundlagen, Voraussetzungen und Symbole braucht bzw. selbst religiöse Funktionen übernimmt. Die Religionswissenschaft wird sich im Seminar insbesondere auf die letzte Frage richten und vier Fragedimensionen aufgreifen.

Aus religionswissenschaftlicher müssen wir somit 1. den Religionsbegriff klären und auf das Rechtssystem übertragen (gibt es einen religiösen Rechtsbegriff oder sind Religionen immer auch Rechtssysteme?), 2. fragen, welche Rolle die Differenz zwischen dem Religions-, dem Glaubens- und insbesondere dem Weltanschauungsbegriff in der Rechtssprache spielt, 3. analysieren, welche religiösen Ausdrucksformen das Recht in institutioneller, ritueller und symbolischer Hinsicht annimmt (religiös-performative Dimension des Rechts) und 4. fragen, welche begründende, legitimierende Sinninstanz das Recht einnimmt, so dass es selbst eine religiöse Dimension im Bürger, im Staat, in der Begründung von Handlungen darstellt.

Dozierende: Dr. des. David Atwood, Prof. Jürgen Mohn, Prof. Dr. Bijan Fateh-Moghadam, Prof. Dr. Felix Hafner, MA Paloma Braun

Das Blockseminar wird zusammen mit zwei Kollegen aus der Rechtswissenschaft durchgeführt. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis von Religion und Staat in Bezug auf das Recht. Die verschiedenen religiösen Traditionen kennen eigene Rechtsregelungen bzw. eigenes Recht wie das Kirchenrecht im Christentum, die Halacha im Judentum oder die Scharia (oder Dîn) im Islam. Wie verhalten sich diese zum explizit staatlichen Recht unter Bedingungen rechtsstaatlich verwalteter Religionspluralität? Wir werden konkrete Rechtsfälle und Rechtsprobleme genauso kennenlernen und diskutieren wie die religionsgeschichtlichen Grundlagen und Voraussetzungen des modernen Verhältnisses von Religion und Recht.

Aus der Religionswissenschaft wird es Beiträge geben 1. zum göttlichen/religiösen Recht (Halacha, Scharia, Kirchenrecht), 2. zur Geschichte und Konstitution der religiösen Pluralität bzw. Diversität (Individualisierung, Säkularisierung als Voraussetzung von Religionspluralität), 3. zur religiösen Dimension des staatlichen Rechts (Symbole und Rituale des Staats und des Rechts, politische Theologie), 4. zur Zivilreligion im Verhältnis zur Religionspluralität (Religionstheorien von Rousseau bis Durkheim), 5. zum Verhältnis von Diversität und Toleranz (Geschichte der Toleranz und Möglichkeiten des Umgangs mit religiöser Pluralität, Muslimische Diversität) und 6. zum Verhältnis von Gott, Staat und Recht im Werk des Rechtshistorikers und Psychoanalytikers Pierre Legendre.

Dozierende: Jürgen Mohn, Felix Hafner, Christopher Geth